In den Jahren 2006 bis 2009 erhielt das Zürcher Grossmünster 12 neue farbige Glasfenster. Der ausführende Künstler war Sigmar Polke. Eines der Fenster nannte er „Menschensohn“. Damit wird vordergründig auf die biblische Vorstellung eines kosmischen göttlichen Wesens verwiesen. Eigenartigerweise stellt das Fenster aber – streng geometrisch geordnet – 16 menschliche Gesichter dar, die sich paarweise anschauen. Zwischen den Paaren erscheint jeweils ein Kelch. Was bedeutet das? Offensichtlich sind menschliche Beziehungen zu sehen und ebenso Gefässe, welche – symbolisch gesehen – die Essenz solcher menschlichen Beziehungen enthalten. Das entspricht den Vorstellungen der Alchemisten, die in ihrem Streben nach der Vereinigung von Gegensätzen die verschiedenen Aspekte menschlicher Begegnungen häufig als Bild innerseelischer Vorgänge nahmen. Es entspricht aber auch der Bedeutung der individuellen seelischen Bezogenheit unter Menschen, auf die C.G. Jung immer wieder aufmerksam machte.
Der Vortrag umkreist und erweitert solche Bezüge, möchte aber ebenso den Künstler und sein schöpferisches Werk einbeziehen, der hier, ob bewusst oder unbewusst, möglicherweise weitreichende zukünftige Entwicklungen zum Ausdruck gebracht hat.